Über die Jugend - oder warum niemand forever young sein will

 Wenn ich mich noch vor einigen Jahren dabei erwischt habe, wie ich in Nostalgie schwelgend Aussagen über die glorreiche Zeit als Jugendlicher tätigte, wie ich mit fast mütterlicher Inbrunst irgendwelchen Kleingruppen aus 14-Jährigen „genießt diese Zeit“ hinterherrief, weiß ich inzwischen eines ganz sicher: das ist absoluter Schwachsinn.

Weder damals noch heute hat diese Phase des Lebens über den Punkt des „früher konnte ich noch alles essen“ hinaus das Recht, glorifiziert zu werden. Und selbst dieser Punkt wird haltlos, wenn ich meine pausbackigen, leicht doppelkinnigen Fotos aus der Mittelstufe betrachte.

 

Mir ist durchaus bewusst, dass ich im Folgenden viel schere – und zwar alle über ein und denselben Kamm – und dass es womöglich oder vermutlich ziemlich sicher auch Jugendliche gab, die nach 6 Jahren Pubertät als Sieger vom Teenie-Platz gingen und sich selbst heute noch ohne jeglichen Anflug von Scham ihre Klassenfotos, Liebesbrieflein und Tagebucheinträge zu Gemüte führen können. Diesem Bruchteil der heutigen Erwachsenen applaudiere ich kurz zu und werfe ihnen dann ein wenig trotzig entgegen: Sagt mal Danke zu uns! Denn, machen wir uns nichts vor:  Deren Erfolg baute zu großen Teilen auf den wackeligen, meist schlecht gekleideten und oft noch babyspeckigen Beinen der pubertären Restwelt.

All diejenigen, die beim Lesen der Eingangszeilen ein wenig connecten konnten, mögen sich gern nochmal kurz mit mir auf eine Reise in die Klassenzimmer um die Jahrtausendwende begeben. In eine Zeit, in der man sich epische Nachrichten auf Löschpapier oder den 4you Rucksack schrieb. Eine Zeit, in der die Beliebtheit anhand der Geburtstagspartys, auf denen man eingeladen war, gemessen wurde. Oder daran, ob man jemand kannte, der CDs für einen brannte.

Begeben wir uns zurück in die Zeit, in der das Klassenzimmer nach Testosteron, Fa Vanille-Deo und jemandes Leberwurstbrot roch und in der man womöglich genauso häufig nach rausgebrochene Brackets im Essen wie nach seinen angeblich wachsenden Brüsten suchte. Eine Zeit, in der man für Tampons zu jung und für Binden zu reif war, in der man immer schlechtsitzende BH’s trug und generell zu oft, zu fettige Haarsträhnen ins Gesicht hängen hatte.

 

Im Allgemeinen fühlte sich Pubertät an wie das ewige Sitzen im Wartezimmer zwischen Puppenspiel und Baukonto, zwischen Flachbrüstigkeit und Achselhaaren. Wie das ewige Warten in der Schlange vor dem „Alles erlaubt“ -Laden. Das ewige Warten darauf, dass einem endlich Kaffee schmeckt oder Zigaretten oder bestenfalls beides. Dass Warten darauf, dass man nun auch zu denen gehört, die auf Partys Menschentrauben um sich scharen, weil sie als einziger legal an der Theke Vodka-O für alle bestellen können.

 

Das Aufklärungsspektrum einer durchschnittlichen Mittelstufenklasse reichte von der gelegentlichen Doktor-Sommer-Lektüre bis hin zur monologisierende Hippie-Mama. Nicht zu vergessen, dieses eine Mädchen, das es in jeder Klasse zu geben schien, das man, war man mutig oder cool genug, alles fragen konnte. Und das auch zu allem eine Antwort zu geben wusste.

Grundsätzlich wurde in diesem Lebensabschnitt irgendwie immer tendentiell zu viel. Zu viel geheult, zu viel Kajal verwendet. Zu viel gezockt und zu viel masturbiert. Es wurden zu viele Freundschaften aufwändig gekündigt, um tags darauf doch wieder entkündigt zu werden und es wurde in zu vielen Liebesbrieflein gefragt, ob man ja, vielleicht oder auch nicht mit einem gehen wollen würde. Und um Himmels Willen, es wurden viel zu oft die Eltern verflucht.

Wer sich gerade ertappt, wie er sein Diddle-Stickeralbum hervorgekramt hat und kurz davor ist, es zusammen mit all seinen Schamgefühlen zu verbrennen, der halte kurz inne und werde sich bitte einer Tatsache bewusst: wenn wir damals schon eine wirklich kacke Pubertät hatten, wie ergeht‘s dann erst einer pubertierenden Generation Z?

 

Während zu unserer Jugendzeit die Anzahl an wenig ästhetischen Selfies durch den für Taschengeldbezieher durchaus kostspieligen Kauf von schwarz-weiß-Filmen und deren Entwicklung limitiert waren, steht den Zöglingen heute ein Füllhorn zum Bersten voll mit digital-visuellen Schmankerln zur Verfügung. Schmankerl nur für sich selbst, Schmankerl mehrfach gefiltert und ins Like-Rennen geschickt, Schmankerl nur für die erste große Liebe, aber wirklich auch nur für ihn bestimmt, Schmankerl versehentlich für die ganze Schule, weil gedachte erste große Liebe, wohl doch nicht so groß, sondern eher ein ziemliches Arschloch war.

Während wir in unserer Sturm- und- Drang- Phase von einer Eltern-Kind-Eskalation zur nächsten schlitterten, Türen zuknallten, Abendessen verweigerten und zufrieden aus den Augenwinkeln das Kopfschütteln der angeblichen Erzeuger wahrnahmen, während wir uns offensichtlich und liebend gern von unseren Eltern sowohl physisch als auch geistig abgrenzten, bleibt den Sturm- und- Drängern heute kaum mehr Raum sich abzusondern. Wie auch? In einer Welt voll ewig Jugendlicher, in der Mama sich die gleichen, weißen Sneakers wie die Tochter kauft, Papa mit zum Skatepark will und die Klassenlehrerin die Hook von Haftbefehl mitrappen kann, wird Abgrenzung schwer.

Und während wir damals wenigstens diese eine Sache hatten, diese eine Sache, auf die es sich wehmütig zurückblicken lohnt, weil Vorfreude erweckend, weil Glücksgefühle hervorbringend und weil eben heute nicht mehr nachempfindbar, während wir uns kollektiv an die Momente erinnern können, in denen wir vor dem Kassettenrekorder sitzend, den Zeigefinger über dem Aufnahmeknopf schwebend darauf warteten, dass der Moderator endlich an unsere Lieblingsband übergab. An die Momente, in denen wir nach tagelangem Warten die neu gebrannte CD mit all unseren Wunschliedern im Hausflur des „Dealers unseres Vertrauens“ im Tausch gegen einen Kinogutschein entgegennahmen. Oder die Momente, in denen in der neuen BRAVO endlich der Songtext von Eminem abgedruckt war, was das fehlerfreie Mitrappen ab Mitte der Woche sicherte. Während wir immerhin diese kurzen Momente des Glücks für uns hatten, bleibt den Jugendlichen von heut dank spotify und youtube nur ein Klick.

 

Warum ich diesen Text schreiben? Vielleicht, weil ich dazu ermutigen will, in den eigenen mit Füller verfassten Biographien zu schmökern. Vielleicht aber auch einfach nur, um etwas brechen. Eine Lanze, zum Beispiel. Für schlecht gelaunte Jugendliche. Sie haben jeden Grund dazu.

 

 

 

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