Meine liebe Nacht,
seit so vielen Monaten muss ich nun schon ohne dich leben, in meinen eigenen vier Wänden ausharren und so tun, als würde ich klarkommen, ohne dich.
Aber ganz ehrlich, wem lüge ich da etwas vor? Von Klarkommen kann keine Rede sein. Ich vermisse dich. Ich vermisse dich furchtbar schrecklich.
Und weißt du auch warum? Weil du etwas Zauberhaftes an dir hast. Etwas Einmaliges. Du bist nicht nur der Zeitraum zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang oder die Existenz von maximaler Dunkelheit. Du bist so viel mehr für mich.
Du bist das Tor zu einer Welt, in der einfach alles möglich ist. Eine Welt, in der Hunde und Kontrolle keinen Zutritt haben und jeder am Eingang seine Vernunft abgeben darf. Wenn ich das Haus verlasse, um meinen Abend mit dir zu verbringen, dann bin ich niemals vorbereitet auf das, was mich erwartet. Oder wer mich erwartet. Oder wo ich ende. Oder wann.
Gewissheit und Sicherheit sind dir völlig fremd, mit dir weiß ich nie, was ich erlebe und ich muss mich voll und ganz auf etwas – auf dich - einlassen. Du zwingst mich mit deiner aufregenden, erfrischenden Art förmlich dazu, ich selbst zu sein. Du weckst in mir die Neugier auf Mehr, auf Weiter, auf Länger. Du treibst mich immer wieder dazu, über die Stränge zu schlagen, meine eigenen Grenzen auszuloten und einfach noch da zu bleiben, denn…auf gar keinen Fall will ich etwas verpassen von dir, liebe Nacht.
Seit so vielen Monaten ziehst du jetzt schon an mir vorbei. Verpasse ich dich.
Manchmal ertappe ich mich, wie ich vor dem Spiegel stehe und mich schminke, weil ich das vorfreudige Kribbeln spüren will, die gänsehäutliche Anspannung auf das was da kommen mag. Aber es kommt nichts. Außer der 54.Weinabend in Jemandes Küche.
Manchmal versuche ich mir einzureden, dass ja auch so ein früher Morgen was Schönes haben kann. Oder der Nachmittag. Und glaub mir dabei selbst kein Wort.
Manchmal quäle ich mich noch mittels Netflix-Produktionen ein Stück weit zu dir, um dann kurz nach Mitternacht festzustellen, dass das nicht du bist. Dass das nur eine langweilige, spießbürgerliche Version von dir ist, mit der ich mir einzureden versuche, dass ich irgendwie doch noch im Stande bin…ja was eigentlich…auf zu bleiben?
Ich hab nur eine Bitte, liebe Nacht. Lass mich wieder Teil von dir sein. Lass mich wieder eintreten in deine Welt und ich verspreche dir: ich gebe liebend gern am Eingang Kontrolle, Vernunft (und meinen Ausweis) ab.
Sehnsüchtig,
eine Verehrerin
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